Bild 10/2/2020
16 MONATE NACH DIESEM KINDERGEBURTSTAG KAMEN HITLERS SCHERGEN
Nach dem Glück kam der Horror
Foto Box 1
Gerade einmal 16 Monate liegen zwischen diesen beiden Bildern: Die linke Aufnahme zeigt fröhliche Kinder auf einer Geburtstagsfeier – auf dem rechten Foto sind im selben Zimmer SA-Männer zu sehen, die im Rahmen der Pogromnacht vom 9. November 1938 die Wohnung der Familie Bénesi verwüstet habenFoto: Stadtarchiv Erlangen
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von: HANNES KOHLMAIER10.02.2020 - 22:52 Uhr
Erlangen – Diese beiden Fotos zeigen, wie nah Freude und Hass, Himmel und Hölle, Glück und Horror beieinander liegen können.
Dr. Andreas Jakob (64), Leiter des Erlanger Stadtarchivs, hat diese bewegenden Dokumente gefunden. „Die Bilder sind so beeindruckend, weil sie dramatisch deutlich machen, was in dieser Pogromnacht zerstört wurde“, sagt er zu BILD.
Friedl S. (93) erinnert sich: „Hildegard hatte einen Puppenwagen, mit dem wir immer spielten.“Foto: Hannes Kohlmaier
Nur Friedl durfte erwachsen werden
► Das erste Foto zeigt einen fröhlichen Kindergeburtstag, aufgenommen am 2. Juli 1937 in einem Wohnhaus der Hauptstraße in Erlangen (Bayern). Nur Friedl (damals 11), die ganz rechts sitzt, durfte erwachsen werden, kann heute berichten. Weil sie keine Jüdin ist.
37: Geburtstagskind Hildegard (Mitte) sitzt mit ihrem Bruder (2. v. r.), zwei jüdischen Freunden und Friedl (rechts) am Tisch. Hildegards stolzer Papa machte das FotoFoto: Stadtarchiv Erlangen
Sie erinnert sich in BILD: Die kleine Hildegard feiert damals ihren vierten Geburtstag, Freunde und Geschwister sind eingeladen. Es gibt Gugelhupf und Kakao. Fotografiert hat es Hildegards Vater Jakob Bénesi.
► Das zweite Foto zeigt dasselbe Wohnzimmer – nur eineinhalb Jahre später. Ein deutscher Presse-Fotograf drückte auf den Auslöser, als SA-Männer am 9. November 1938 die Wohnung der Familie Bénesi stürmten, alles zerstörten und plünderten.
1938:
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Dasselbe Wohzimmer: SA-Männer zerschlagen die Einrichtung, die Familie wurde bereits abgeführt. Vater, Mutter und Kinder starben im Konzentrationslager Auschwitz Foto: Stadtarchiv Erlangen
BILD traf die einzige Überlebende von dem Geburtstags-Foto. Friedl S. ist heute 93 Jahre alt, lebt noch in Erlangen. Sie erinnert sich: „Frau Bénesi hatte mich zu Hildegards Geburtstag eingeladen. Herr Bénesi verkaufte in seinem Fotoladen auch Tabak. Er sammelte für mich immer die Bildchen, die damals in den Zigarettenschachteln lagen.“
Friedl S.: „Meine Mutter hatte mir als Geschenk für das Geburtstagskind ein Püppchen fürs Puppenhaus eingepackt. Wir gingen nach der Geburtstagstafel ins Spielzimmer. Hildegard hatte einen Puppenwagen, wir bezogen die Deckchen für die Puppe neu.“ Dass die Familie jüdisch war, war der damals 11-jährigen Friedl gar nicht bewusst. Bis zur Pogromnacht, dem Beginn der systematischen Verfolgung von Juden im Nazi-Deutschland.
Einer der SA-Männer ist ein ehemaliger Schulfreund
„Wir wohnten gegenüber, hörten Krach und Geschrei“, sagt Friedl S. „Mein Vater sagte, er geht mal raus, um zu gucken, ich folgte ihm.“ „Da sah ich, wie die Familie von SA-Leuten aus dem Haus geschubst wurde. Jeder hatte nur ein kleines Täschchen in der Hand. Die Kinder weinten. Die Männer verfrachteten sie auf den Lastwagen. Aus den Fenstern der Familie flogen Gegenstände auf die Straße, Nachbarn bedienten sich an den Sachen. Ich hab gehört, wie SA-Männer im Haus ‚Judenschweine‘ brüllten.“
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Friedls Papa Hans (im Krieg verschollen) wurde von der SA bedroht Foto: Hannes Kohlmaier
Elfriedes Vater sprach einen der SA-Männer an, einen ehemaligen Schulfreund: „Was macht ihr denn mit den Leuten, die haben euch doch nichts getan!“ Der SA-Mann: „Wenn du deine Goschen ned hältst, kommst du gleich mit rauf auf den Laster.“
Die gesamte Familie Bénesi, Vater Jakob (37), Mutter Gottliebe (32), Erich (7), Hildegard (5) und Hannelore (3) wurde in Auschwitz ermordet.